Ella Deppe
Reisen
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Lesung mit Musik

Am 30. November 2008 um 19:00 Uhr hatte ich eine Lesung mit Musik über meine Reise. Das Thema war: "Moskau zwischen Wahn und Romantik". Bei dieser Gelegenheit stellte ich unser neu gegründetes Trio "Lucia" vor. Ich habe mich über die Aufmerksamkeit der zahlreichen Zuhörer sehr gefreut und bedanke mich bei Irina und Maria für ihren Einsatz..







Im Juli 2008 besuchte Ella ihre Freundin Natascha in Moskau.
Hier ist ihr Bericht:

Endlich war der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte, gekommen. Heute um 13:30 Uhr werde ich von Hannover nach Moskau fliegen. Manfred und ich sind früh losgefahren, um nicht womöglich in einen Stau zu geraten. Auf dem Flughafen angekommen, checkte ich schnell ein, so dass ich nun von Rucksack und Koffer befreit war. Wir beide hatten jetzt noch fast zwei Stunden Zeit, um uns noch in Ruhe alles anzusehen. Ich wollte mich entspannen und auf den Flug vorbereiten. So gingen wir in ein gemütliches Café.

Ich liebe diese Atmosphäre auf dem Flughafen. Dieses Gefühl von angenehmer Erwartung, aber auch die Flugangst versetzen mich in ungeduldige Spannung. Endlich kam die Zeit, dass ich zur Passkontrolle musste. Ich verabschiedete mich von Manfred und ging. Es verlief alles reibungslos. Plötzlich stand ich in der Wartehalle nach Moskau. Um mich herum waren nur russisch sprechende Menschen. Jetzt war es soweit, der Aeroflot-Aufruf kam und wir eilten alle zum Flugzeug. Mein Platz war die erste Reihe der zweiten Klasse am Gang, gleich hinter der ersten Klasse. Gleich ist es soweit! dachte ich, bekam Herzklopfen und zitterte am ganzen Körper. Ich habe meine Flugangst nie richtig überwunden. Sie
fliegt immer noch mit mir. Jetzt bin ich auch noch ganz allein. Wir hatten einige weinende Kinder in unserem Abteil, was mich in meiner Situation auch nicht gerade aufbaute. Das Flugzeug startete und die Kinder schrieen wie abgesprochen. Ich versuchte, in meiner Zeitschrift zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren.

Um mich abzulenken, beobachtete ich die Fluggäste der ersten Klasse. Von meinem Sitzplatz konnte ich sie gut sehen. Ich wollte wissen, was da anders ist als bei uns. Ach ja, da sah ich es auch schon: die hatten breitere Sessel. Wo wir in einer Reihe drei Sessel hatten, hatten die zwei, sogar mit Leder bezogen. Na ja, vornehmer halt. Ich beneidete die Leute aber nicht, als sie weiße Deckchen auf ihre winzigen Tischchen bekamen, darauf Weingläser für Saft und Wasser. Die Gläser waren ziemlich hoch, so dass man das Gefühl bekam, dass sie bei der kleinsten Erschütterung kippen könnten. Unsere Plastikbecher taten es auch. Um eine Sache habe ich unser Nachbarabteil dann doch beneidet. Die Stewardess dort war freundlich, hübsch und sehr fürsorglich. Unsere dagegen war genau das Gegenteil, machte einen strengen und schlecht gelaunten Eindruck, so dass man sich kaum traute, etwas zu fragen. Aber das war bestimmt ein Zufall!?

IIch hatte mich völlig beruhigt und freute mich auf die Landung. Es war Stille eingekehrt, die meisten Kinder schliefen jetzt und ich las entspannt meine Zeitschrift. Es war ein schönes, ruhiges Fliegen. Nach zwei Stunden und dreißig Minuten landeten wir in Moskau. Ich lief hinter den übrigen Passagieren her zur Passkontrolle. Wir kamen alle in eine große Halle. Ich konnte es nicht glauben, was ich sah. Es waren Hunderte von Menschen, die dicht zusammengepresst hintereinander standen. Die Passkontrollschalter waren so weit von uns entfernt, so dass ich sie kaum sehen konnte. Also muss ich hier jetzt auch stehen? Wie lange wird das dauern? Ich rief meine Freundin Natascha auf dem Handy an. Sie ist diejenige, die mich zu sich nach Moskau eingeladen hat. Natascha war schon längst da, um mich abzuholen und wartete ungeduldig. Da musste sie sich noch zwei Stunden gedulden. Ich natürlich auch, denn so lange hatte es bei der Passkontrolle gedauert. Als ich dann endlich dem Beamten meinen Reisepass und das Visum zeigte, tat ich sehr deutsch. Das heißt: ich lächelte freundlich und sagte ganz laut: Guten Abend! Das wirkte Wunder, ich war ganz schnell und ohne Fragen durch.

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Natascha und ich lagen uns glücklich in den Armen. Es war herrlich, in ihrem Auto zu sitzen und durch Moskau zu fahren. Sie wohnt mit ihrem Mann 26 Kilometer außerhalb von Moskau. Dort ist vor kurzem in einer wunderschönen Gegend eine neue Siedlung entstanden. Zum größten Teil sind es die Neureichen, die die Sommerzeit in der sauberen Natur verbringen wollen. Es sind aber keine Ferienhäuser, wie wir sie kennen, es sind große Häuser oder sogar Schlösser.

Natascha und ihr Mann Jewgenij gehören nicht zu dieser Kategorie Menschen. Sie hatten großes Glück, in dieser Gegend ein bescheidenes Häuschen zu finden, das leer stand. Dem früheren Besitzer war das Haus für den Sommer zu klein. Er baute sich in der Nähe ein riesiges Schloss und verkaufte das kleine Haus ziemlich günstig an Natascha und Jewgenij. Natascha hatte lange nach so einem Haus mit Grundstück schon aus dem Grund gesucht, weil sie zwei große Hunde haben.

Ich habe mich vom ersten Moment an bei Natascha sehr wohl gefühlt. Als erstes zeigte sie mir ihr ganzes Reich. Da kam auch schon Jewgenij auf mich zu und umarmte mich herzlich. Die beiden Hunde sprangen vor Freude an mir hoch als hätten sie schon lange auf mich gewartet. Ich war glücklich. Natascha zeigte mir mein Zimmer. Es war ein neu ausgebautes Dachgeschoss. Ein sehr gemütlicher holzvertäfelter großer Raum mit zwei Fenstern. Da standen ein großes Bett mit zwei kleinen Tischchen an den Seiten, eine Spiegelkommode, ein Regalschrank und zwei Stühle. Auf dem Fußboden lag ein großes, weißes Tierfell. Jewgenij brachte mein Gepäck nach oben. Die beiden erzählten mir, dass das Zimmer erst kürzlich fertig geworden wäre und ich es sozusagen einweihen würde. Dann gingen sie nach unten, um den Tisch für das Abendessen zu decken. In zehn Minuten sollte ich dann dazu kommen.

Natascha überraschte mich mit einem reich gedeckten Tisch, Champagner durfte natürlich nicht fehlen. Es war ein festliches Mahl, das wir da zu uns nahmen. An diesem Abend hatten wir uns sehr viel zu erzählen. Jetzt wusste ich auch, was Natascha für eine schwere Zeit hinter sich hatte, seit sie wieder in Moskau wohnt. Es sind jetzt circa zwei Jahre her. Die Zeit davor hatten sie und Jewgenij sechzehn Jahre in Deutschland gelebt. Als Dolmetscherin verdiente Natascha ihren Lebensunterhalt, Jewgenij ist Grafikdesigner.
Für die acht Tage, die ich bei ihr sein wollte, hatte Natascha ein richtiges Programm vorbereitet. Jeder Tag war verplant. Am ersten Tag fuhren wir schon ziemlich früh nach Moskau. Sie hatte sich vorgenommen, mir einige Museen zu zeigen. Wir stellten das Auto an einem Parkplatz ab, der bewacht wurde. Mit der U-Bahn fuhren wir dann weiter. Die russischen Museen sind ja bekanntlich grandios. Ich könnte es mit Worten nicht beschreiben, was ich da alles zu sehen bekam. Es war das Museum vom Zaren Peter der Große und seiner Gattin Katharina.
Natascha hatte in ihrer Studienzeit in diesem Museum als Führerin gearbeitet. So konnte sie mir alles ausführlich erklären. Danach besuchten wir den Kreml mit all seinen Sehenswürdigkeiten: alten Bauten und wunderschönen Kirchen. Ich machte unendlich viele Aufnahmen.

Erschöpft, aber glücklich kamen wir abends zum Auto zurück. Wieder unterwegs stellte Natascha fest, dass der Tank angezapft wurde, also hatte man uns Sprit aus dem Tank geklaut. Sie schimpfte heftig. Ich war auch fassungslos, denn wir hatten gerade voll getankt. Aber dann lachte sie nur und meinte: Verzeihen wir es ihnen, die haben ja sonst nichts vom Leben. Es wäre nichts passiert, wenn sie nicht dem Wächter die Autoschlüssel gegeben hätte. Er wollte das Auto später in eine sichere Parklücke fahren, denn es stand jetzt etwas abseits, weil nichts mehr frei war.

Am nächsten Tag fuhren wir wieder nach Moskau, diesmal in ein anderes Stadtviertel. Dort ist Natascha aufgewachsen und zur Schule gegangen. Es gab da das Borodino Panorama Museum von dem Natascha mir schon viel erzählt hat. Schon als Schülerin ist sie oft mit der Klasse dort gewesen. Alle Bilder wären von der französischen Revolution. Die Schüler hätten einen Bericht darüber geschrieben.

Wir kamen zu einem riesigen Gebäude. Auf dem Hof vor dem Eingang stand ein großes Denkmal vom Kutusow. Er war der Anführer von Husaren in der russischen Armee, die gegen Napoleon gekämpft haben. Als wir herein kamen, war ich überrascht von den wenigen Besuchern.

Ein paar große Gemälde von der Schlacht hingen an der Wand. In der Mitte des großen Raumes führte eine Wendeltreppe nach oben. Natascha und ich gingen hoch. Oben angekommen, erstarrte ich. Es war überwältigend. So etwas hatte ich noch nie gesehen: ein Panoramabild. Der ganze Raum war eine riesige Kuppel mit einem einzigen Bild. Man war mitten in der Schlacht.
Das Können des Künstlers hat mich zu tiefst berührt. Das ganze Bild war nicht weniger als zehn Meter hoch und 115 Meter breit. Jetzt wusste ich, was Natascha meinte, als sie davon so schwärmte. Vor dem Bild waren Gegenstände aufgebaut, die zum Bild gehörten. Zum Beispiel zerstörte Häuser, Bäume und Hügel, hinter denen sich Soldaten versteckten, massenweise Kanonen,
kleinere Gewehre, tote Pferde und Soldaten, fliehende Menschen und Haustiere, und, und, und. Das alles war so real und ging in das Bild über. Auf der Rückfahrt nach Hause hatte ich immer noch diese Bilder im Kopf. Natascha erzählte mir viel über die Galerie: Das Volk hat im Zweiten Weltkrieg mit großen Schwierigkeiten dieses Bild versteckt. Es ist ihnen gelungen, es gut zu erhalten.

Am nächsten Tag stand auf dem Programm erst einmal meine Anmeldung bei der Behörde. Man muss es angeblich tun, wenn man als Tourist privat untergebracht ist. Es wurde uns gesagt, dass man diese am Hauptpostamt erledigen muss. Wir fuhren ziemlich früh los. Diesmal stellten wir das Auto in einer Werkstatt ab. Am Auto musste eine Kleinigkeit repariert werden. Von da aus war es auch nicht weit bis zur U-Bahn. Natascha und ich wollten schnell meine Sache mit der Anmeldung erledigen und dann zum nächsten Programmpunkt schreiten. Die Fahrt dort hin dauerte ungefähr eine dreiviertel Stunde. Wir näherten uns dem Postamt. Da staunte ich mal wieder, es war ein unglaublich langes Gebäude. Wir gingen hinein und an der Info fragte Natascha nach dem Büro für uns. Man sagte uns, es sei fast am Ende des Gebäudes. Wir machten uns auf den Weg dahin.

Ich musste lachen, denn mitten im Postgebäude hatte man eine Bar oder Kneipe eingerichtet. Sie hieß "Die Bar der schlechten Gewohnheiten". Wir kamen jetzt zu unserem Eingang und hofften sehr, dass wir gleich alles hinter uns bringen. Wir gingen hinein und im Erdgeschoss sahen wir viele Schalter. An einem der Schalter sagte man uns, welcher der richtige für uns ist. Oh nein! Ausgerechnet da war eine lange Schlange. Da standen wir jetzt, es ging so schleppend voran. Endlich am Schalter angekommen, legten wir alles vor, was benötigt wurde. Ein großes Formular mit vielen Fragen, das Natascha als Gastgeberin schon am Vorabend ausgefüllt hatte, mein Visum, Reisepass und Nataschas Pass.

Ich nahm mir vor nicht russisch zu sprechen, denn aus Erfahrung wusste ich, dass es zusätzlich noch Probleme geben konnte. Also schwieg ich.

Die Frau am Schalter sah sich das alles an und meinte, sie bräuchte zwei von diesen Formularen. Da fragte Natascha, ob wir eine Kopie davon besorgen sollten. Ja, es ginge, antwortete sie. Nur, der Kopierer befindet sich am Anfang des Gebäudes. Nichts zu machen. Wir gingen wieder zurück zum Haupteingang. Wir mussten in die zweite Etage zum Kopierraum. Dort warteten auch wieder einige Leute, aber hier dauerte es nicht so lange. Mit der Kopie eilten wir wieder zurück. Die Schlange an dem Schalter war jetzt noch viel länger. Natascha meinte, ich solle nicht darauf achten und wir gingen sofort zu der Frau am Schalter. Jetzt saß da aber eine andere Dame, die mir sehr unfreundlich erschien. Natascha erklärte ihr ganz freundlich unsere Situation. Sie nahm wortlos unsere Papiere, sah sich alles an und meinte, sie bräuchte zwei Originale und keine Kopie. Allerdings hatte sie keine Formulare. Was nun? Wir konnten es nicht fassen. Natascha fragte an einem anderen Schalter nach. Da hörte ich von weitem, wie Natascha sagte: Liebe Frau, ich hatte Sie doch ganz höflich danach gefragt. Können Sie mir nicht auch höflich antworten? Gestresst klatschte sie ein Formular auf das Brett vor Natascha. Wir gingen zu einem Nebentisch, um es auszufüllen.

Es war sehr warm in dem Raum, die Menschen in der Schlange wurden vom langen Warten ungeduldig. Manche schimpften ganz laut. Da sah ich noch einen Mann sehr schnell davon laufen. Die Menschen schrieen, irgend etwas wurde gestohlen. Ein Mann lief hinterher, um den Dieb zu fangen.

Ich wollte nur noch da weg. Natascha war jetzt mit dem Ausfüllen fertig. Wir gingen zum Schalter, um die Papiere abzugeben. Ich hoffte nur noch, dass jetzt alles seine Richtigkeit hat. Wir gingen wieder zu der Frau am Schalter. Da schimpften manche Leute aus der Schlange. Wir hätten uns gefälligst hinten anzustellen. Natascha sagte ganz laut zu der Frau am Schalter: "Fräulein, bestätigen Sie es, dass wir uns hier schon mehrere Stunden aufhalten, damit sich das Volk beruhigt."

Die Frau sah sich unsere Unterlagen an und meinte, die Adresse der Behörde oder Kontrollstelle für die Unterlagen müssten wir selbst herausfinden. Sie verkaufte uns noch einen großen Briefumschlag und sagte, im Flur hängt eine Tafel, da würden wir die passende Adresse für unseren Stadtteil finden. Mit Schweißperlen im Gesicht stand die arme Natascha da und suchte nach der Anschrift. Moskau ist sehr groß und Adressen gab es um die hundert, nur für unseren Stadtteil fehlte sie. Vom Handy rief Natascha andere Behörden an und versuchte, die Adresse herauszufinden. Mit den Worten, sie hätte nicht zu stören, hier wäre kein Auskunftsbüro, wurde sie überall abgewiesen.

Es blieb uns nichts übrig, als wieder zum Schalter zu gehen. Natascha sagte der Frau, sie hätte alles versucht, sie solle uns doch irgendwie helfen. Diesmal erbarmte sich die Frau. Sie verließ ihren Platz, ließ die wartenden Menschen stehen und kam zu uns. Die beiden Frauen sahen sich die Tafel mit den Adressen genau an. Unser Stadtteil war tatsächlich nicht dabei. Die Dame vom Schalter wollte Irgendjemand fragen und ging in eines der Büros. Nach einer Weile kam sie mit der Adresse zurück.

Natascha und ich waren erleichtert. Die Frau sah sich noch einmal mein Visum an und fragte Natascha, ob ich nur acht Tage bliebe. Dann brauche ich doch keine Anmeldung. Wir lachten nur noch und wollten nichts wie weg hier.

Inzwischen hatten wir Hunger und Durst. Wir suchten uns ein bescheidenes Restaurant. Schön gemütlich und kühl war es hier. Ich sah ein Tischchen, das etwas abseits von den anderen stand. Wie erschöpft wir waren, bemerkten wir erst, als wir saßen. Hier war man sehr freundlich zu uns. Natascha und ich freuten uns auf die leckeren Gerichte, die wir ausgesucht hatten. Das Essen war köstlich, jetzt ging es uns richtig gut. Natascha schlug vor, zum Roten Platz zu fahren. Ich freute mich sehr darauf, denn dort bin ich schon ein paar Mal gewesen. Mit der U-Bahn dauerte es circa dreißig Minuten.


Und da lag er vor uns: dieser riesige Platz, der mir so vertraut war. Geradeaus vor uns lag die Basilius-Kathedrale mit den verschiedenen kunstvoll gemusterten Kuppeln. Recht von uns befand sich das Lenin-Mausoleum. Auf der anderen Seite stand ein wunderschönes Gebäude aus roten Ziegeln mit vielen Türmchen. Es ist das historische Museum, das älteste Russlands.
Wir besuchten das größte Kaufhaus in Moskau, das sich ganz in der Nähe des Roten Platzes befindet. Da haben wir uns sehr lange aufgehalten. Hier gab es alles, was das Herz begehrt: ausgefallene Kleider, Hüte, Schuhe u.s.w. Wir hatten viel Spaß, alles Mögliche anzuprobieren. Ich hielt Ausschau nach Mitbringsel für meine Lieben in Deutschland. Wir waren in vielen Geschenkeläden, ich fand aber nichts Passendes.

Natascha hatte sich Blasen an den Füßen gelaufen. Wir gingen in ein Café und ließen uns da mit Kuchen und Cappuccino beköstigen. Es war schon ziemlich spät, als wir im Auto saßen. Am nächsten Tag war dann eine Schifffahrt auf dem Moskau-Fluss geplant und danach eine Stadtrundfahrt mit dem Bus. Das alles hat mir Natascha sehr schmackhaft gemacht, als wir auf dem Weg nach Hause waren.

Plötzlich gerieten wir in einen Stau. Es störte uns nicht weiter, denn wir unterhielten uns sehr angeregt. Es war sehr spannend, Natascha zuzuhören. Ich bewunderte diese Frau immer mehr. Woher hat sie nur die Kraft, sich hier so durchzukämpfen. Mit ihrem Gerechtigkeitssinn hat sie es hier in Moskau besonders schwer. Ähnliches, das wir heute Morgen bei der Behörde erlebt haben, erlebt sie ständig, seit sie vor zwei Jahren nach Moskau zurückgekehrt ist. Diese kleine Person ist eine große Optimistin, von der man viel lernen kann. Sie erzählte mir eine Geschichte nach der anderen.

Wir standen immer noch im Stau, es ging nur schrittweise vorwärts. Von den ständigen Anfahren und Stoppen wurde mir übel. Natascha fuhr rechts ran und wir stiegen aus. In der frischen Luft am Waldesrand ging es mir gleich besser. Wir brauchten drei Stunden für 26 Kilometer. Ich hatte nur noch einen Wunsch: nicht mehr nach Moskau zu fahren.

Am nächsten Morgen hatte ich sehr lange geschlafen. Das Wetter war, wie jeden Tag, sehr schön. An diesem Morgen hatte Natascha eine Kleinigkeit zu erledigen. Sie fuhr mit dem Auto für eine Stunde weg. Ich genoss das schöne Wetter im Garten, zupfte Unkraut im Blumenbeet und spielte mit den Hunden.

Als Natascha zurück kam, frühstückten wir und schwammen in ihrem Pool. Jewgenij sah ich immer nur abends, wenn er von der Arbeit kam. Es war nicht vor 20 Uhr, meistens war er sehr erschöpft und zog sich zurück, oder wir machten einen Spaziergang zu dritt.

Nachmittags wollte Natascha mir ein Männerkloster zeigen, das etwa 25 Kilometer entfernt ist. Wir erledigten noch einige Hausarbeiten, dann holte Natascha noch zwei Kopftücher und wir fuhren los. Die Fahrt war sehr angenehm, es waren kaum Autos unterwegs. Wir freuten uns über die tolle Entscheidung, nicht in Richtung Moskau zu fahren.

Es war eine wunderschöne Landschaft, lauter Birkenwälder, die manchmal in Nadelwälder übergingen. Die saftigen Gräser und Blumen machten die Landschaft märchenhaft schön. Dazwischen waren immer wieder kleine Dörfer. In den Dörfern hatte man den Eindruck, dass die Zeit stehen geblieben war. Lauter kleine, alte Holzhäuschen standen am Straßenrand. Manche waren mit gelber oder blauer Farbe gestrichen. Einige waren schon halb verfallen und trotzdem noch bewohnt.

Wir näherten uns dem Kloster. Das befand sich auf einem Hügel außerhalb einer kleinen Stadt. Vor dem Tor banden wir uns die Kopftücher um. Es ist hier eine alte Tradition, dass die Frauen auf dem Klostergelände eine Kopfbedeckung haben müssen.

Es war ein Kloster aus dem 16. Jahrhundert. Ich war erstaunt, wie groß das Gelände war. Es gab ein Museum dort, das an diesem Tag leider geschlossen hatte.
Natascha hat den orthodoxen Glauben, sie bekreuzigte sich vor der Kirche und wir gingen hinein. Es war eine nicht so große und im Vergleich mit den anderen eine bescheidene Kirche. Sie war vor kurzem restauriert worden. Die ikonenartigen Gemälde an der Wand, die alten Skulpturen und die vielen Kreuze leuchteten durch die neue Farbe, weil besonders viel Goldfarbe verwendet wurde. Es war eine äußerst feine Arbeit. Es waren viele Leute im Raum. Manche zündeten Kerzen an, das taten wir dann auch, hielten uns noch eine Weile dort auf, spendeten und gingen wieder hinaus.
Wir sahen uns ein langes Gebäude an, wo die Mönche lebten. Das Gebäude sah sehr gepflegt aus. Es war weiß gestrichen, die hölzernen Fensterrahmen waren sehr breit und wunderschön mit altrussischen Mustern verziert. Vor dem Gebäude, aber auch auf dem ganzen Gelände, blühten Blumen und wuchsen Zierpflanzen. Wir hielten uns gerne dort auf, ich machte viele Fotos. Um uns herum sahen wir noch andere uralte wunderschöne neu renovierte Häuser mit vielen Türmchen auf dem Dach.

In einem der Häuser war ein kleiner Lebensmittelladen, in dem Naturprodukte angeboten wurden. Guten Wein hatte man auch dort, aber auch Kuchen und andere Süßigkeiten. Ich zwang mich um nicht schon wieder Leckereien zu kaufen. Denn in den ganzen Tagen hatte ich mich bei dem vielen Essen überhaupt nicht zurückgenommen, besonders Süßigkeiten aß ich in riesigen Mengen.

Natascha kaufte eine Flasche Wein für Jewgenij. Die Flasche hatte eine Glockenform und sollte etwas Besonderes für ihn sein. Wir gingen zum Ausgang durch das große Tor zum Auto. Vor der Heimfahrt machten wir noch einen Spaziergang durch den Wald, der so kühl und erfrischend war.

Heute Abend erwartete ich Besuch aus Moskau. Die Tochter meiner Freunde aus Nowgorod wohnt und arbeitet als Juristin hier in Moskau. Sie heißt Aljona. Sie und ihr Freund Slawa wollten nach der Arbeit zu uns kommen.

Wir kauften noch reichlich ein, denn es sollte ein Grillabend werden. Zu Hause angekommen, es war auch schon Abend, machten wir uns gleich an die Arbeit. Ich machte einige Salate, Natascha wollte Kartoffeln auf dem Blech im Ofen backen. Jewgenij übernahm das Grillen im Garten. Wir deckten den Tisch draußen im Holzpavillon. Es war jetzt ungefähr 20 Uhr. Um diese Uhrzeit konnte man es hier vor der Wärme schon aushalten.

Der Besuch aus Moskau kam dann auch bald. Die beiden Paare lernten sich kennen und fanden sich auf Anhieb sympathisch. Es war ein gelungener Abend. Wir aßen, unterhielten uns, tauschten Geschenke aus und lachten viel. Es war schon ziemlich spät, als wir uns verabschiedeten. Für Natascha und mich war der Abend noch lange nicht zu Ende. Irgendwie fanden wir immer ein Thema, das uns die Zeit ganz vergessen ließ. Vor zwei oder drei Uhr nachts waren wir nie im Bett. Sofern es die Hunde zuließen schliefen wir morgens länger.

Der nächste Tag war Freitag. An dem Tag hatten wir uns nicht viel vorgenommen, außer der Besichtigung eines anderen Männerklosters, das sich in der Nähe befand. Ein Großeinkauf stand auch noch auf dem Programm, denn morgen sollt eine Party stattfinden. Nataschas Studienfreunde wollten uns besuchen. Wir frühstückten mal wieder ziemlich spät und sehr lange. Unsere Unterhaltung wollte einfach nicht abreißen. Danach fuhren wir los.

Das Männerkloster war wirklich in der Nähe, so etwa zehn Kilometer entfernt. Wir kamen zu einem hochgemauerten Zaun mit einer riesigen Pforte. Wir gingen hinein. Hundert Meter von uns entfernt stand eine grandiose Kirche oder Kathedrale mit einer Goldkuppel. Diese Kirche wurde im 18. Jahrhundert gebaut. Es sollte die Kopie einer Kirche aus Jerusalem sein.

Die Architektur dieser Kirche hat sich äußerlich stark von allen anderen russischen Kirchen, die ich bis jetzt gesehen hatte, unterschieden. Sie erinnerte tatsächlich an eine Synagoge. Die langgestreckten Wohngebäude der Mönche waren ziemlich schlicht, aber sehr gepflegt. Auf diesem Geländer hielten wir uns nicht sehr lange auf, denn der Großeinkauf für morgen stand uns noch bevor. Wir erledigten unseren Einkauf und planten das Essen für morgen. Ich hatte Natascha einige Vorschläge gemacht, was ich machen konnte. Sie hat sich für Piroggen mit Weißkraut und Salat entschieden. Einige der Gäste wollten für das Fleisch zum Grillen und für Schaschlik sorgen.

Nach dem Abendessen brachte Natascha auf meinen Wunsch zwei Fotoalben. Sie hatte sehr viele Bilder aus der Kindheit und Jugendzeit. Sie erzählte mir viele Geschichten, besonders von ihrem Vater, an dem sie sehr hing. Von ihm hatte sie auch viele Fotos. Dann zeigte sie mir noch Fotos von ihren Studienfreunden, die uns morgen besuchen werden. Über jeden hatte Natascha eine kleine Geschichte zu erzählen. Ich war schon richtig gespannt auf morgen und freute mich auf ihre Freunde.

Am nächsten Morgen wurde ich früh wach. Ich hörte Nataschas Stimme draußen. Sie und ihr Mann stiegen gerade in das Auto. Jeden Samstag machte Jewgenij eine Weiterbildung für seinen Beruf. Natascha war gerade dabei, ihn zum Bahnhof zu bringen. Als sie zurück kam, stand ich schon in der Küche und bereitete den Hefeteig für die Piroggen vor. Die Füllung für die Piroggen hatte ich schon am Abend vorbereitet. Für die Füllung hatte ich Weißkohl, Möhren, Knoblauch, Zwiebeln und etwas Sauerkraut mit Rahm und vielen Gewürzen geschmort.

Ich machte Tee und wir frühstückten eine Kleinigkeit. Natascha erzählte mir, dass die ersten Gäste schon um die Mittagszeit kommen. Ich machte mich an die Arbeit, das heißt, an die Piroggen. Die kleinen Dinger nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Man muss den Hefeteig ausrollen, mit einem Glas ausstechen, dann jede Pirogge füllen, zusammendrücken und zu einer Art Schiffchen formen.

Natascha hat eine Haushaltshilfe: eine junge Frau, die am Wochenende ins Haus kommt und einige Arbeiten erledigt. Sie kam jetzt gerade passend und half mir. Natascha fuhr los, um die ersten Gäste vom Bahnhof abzuholen. Einige Zeit später kam sie mit zwei großen, gut aussehenden Männern zurück. Sie stellte mich ihnen als ihre Freundin Ella aus Deutschland vor. Es waren zwei sehr interessante Persönlichkeiten.

Einer ist Schauspieler, von ihm hatte Natascha mir schon einiges erzählt. Er hatte in zahlreichen Filmen und Theaterstücken mitgespielt. Es war ein großer, kräftiger Mann mit dunkelblondem, lockigem Haar und großen, blauen Augen. Er trug einen Vollbart, der zu seiner Statur sehr gut passte.

Dieser Mann war mir vom ersten Augenblick an sehr sympathisch, vielleicht, weil er so offen und freundlich war. Er hieß Walerij. Der zweite hieß Andrej. Er war ein total anderer Typ. Ein großer, schlanker Mann mit langem, dunklem Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er hatte ein hübsches Gesicht mit braunen Augen und kurz geschnittenem Bart. Er ist Maler von Beruf. Dieser Mann machte eher einen verschlossenen Eindruck auf mich. Natascha schwärmte von seinen Gemälden und anderen Kunstwerken.

Ich bot heiße Piroggen und Tee an. Es wurde mit großem Appetit gegessen. Da bekam ich von den Gästen ein dickes Lob für meine Piroggen. Nach dem Essen zogen sich alle aus und gingen ins Wasserbecken. An diesem Tag war es besonders heiß, die Abkühlung tat gut. Da kam auch Jewgenij nach Hause. Er ruhte sich ein wenig aus und ging auch ins Wasser. Er war heute wieder für das Grillen zuständig. Etwa um 17 Uhr kamen noch drei Frauen dazu. Mit viel Lachen und Geschrei liefen sie sich in die Arme. Die Frauen hatten auch etwas zum Essen mitgebracht. Wir deckten den Tisch im Pavillon. Außer Natascha und mir wollten die Anderen vor dem Essen noch eine Runde schwimmen. Sie tobten im Wasser, es war schön, ihnen zuzusehen. Jewgenij zündete den Grill an. So nach und nach kamen die Freunde aus dem Wasserbecken heraus, zogen sich an und gingen zu Tisch. Zwischen den vielen Schalen mit Salaten, Eingemachtem, meinen Piroggen und anderem Gebäck standen Flaschen mit Alkohol und Säften. Ich genoss die tolle Stimmung und das leckere Essen.

Natascha und ihre Freunde hatten sich monatelang nicht gesehen. Sie hatten sich natürlich viel zu erzählen. Etwas später kommen noch zwei Freunde dazu, ein Mann und eine Frau, die ein Antiquitätengeschäft in Moskau haben. Deswegen war es ihnen nicht möglich, eher zu kommen. Sie gingen rasch ins Wasserbecken. Ich denke, die Gelegenheit zu schwimmen, gibt es für Moskauer nicht so oft, darum stürzten sie sich so begeistert ins Wasser.

Nach dem ausgiebigen Essen und Trinken ging Natascha ins Haus und holte ihre Gitarre. Ich hatte schon darauf gewartet. Ich wusste von Natascha, dass ihre Freunde fast alle nicht nur Gitarre spielen und singen, sondern auch Lieder schreiben. Andrej, den ich schon seit Mittag kannte, nahm die Gitarre, stimmte sie kurz und spielte. Er spielte wunderschön und sang seine eigenen Bardenlieder. Manchmal stimmte er Lieder aus der Studentenzeit an, dann sangen alle kräftig mit. Dann reichte er die Gitarre an die Frau weiter, die neben ihm saß. Es war eine blonde Frau namens Swetlana mit rundem Gesicht und etwas kräftiger Figur. Sie hatte eine hohe, klare Stimme, die mir auch sehr gut gefiel. Sie sang einige Lieder und gab die Gitarre weiter. So kam fast jeder dran.

Als letzter hatte Walerij die Gitarre in der Hand. Ihn kannte ich auch schon seit Mittag. Er hatte eine tiefe, rauhe Stimme und sang gefühlvolle Liebeslieder, die er selbst geschrieben hatte.

Die Kerzen brannten auf dem Tisch. Es wurde eine schöne, romantische Stimmung. Es war schon 23 Uhr und immer noch Dämmerung. Ein roter Streifen der untergehenden Sonne war hinter dem Wald noch sichtbar. Ich ging hinaus, um diese Stimmung mit der Kamera festzuhalten. Von der anderen Seite des Hauses war die Sonne noch besser zu sehen. Ich machte noch einige Aufnahmen und setzte mich in die Hollywood-Schaukel, die im Garten stand. Es war ein schöner, lauer Sommerabend, von weitem hörte ich noch den Gesang der Gäste im Pavillon.

Plötzlich hörte ich Schritte auf mich zukommen. Es war Walerij. Er fragte mich, ob er sich zu mir setzen dürfte. Ich antwortete: Ja, gerne. Er fragte, ob ich mich vielleicht langweile. Ich sagte: Nein, auf keinen Fall, ich wollte nur ein paar Aufnahmen machen und bin einfach hier auf der Schaukel sitzen geblieben. Wir unterhielten uns über allgemeine Dinge wie das Wetter und die schöne Landschaft und wie gerne sie sich die Freunde hier treffen. Ich fragte ihn nach seiner Arbeit als Schauspieler. Es wäre doch ein sehr kreativer Beruf. Ich träumte schon als Kind davon, Schauspielerin zu sein. Er erzählte nicht mit viel Begeisterung über seinen Beruf. Man bekommt nicht immer die Rollen, von denen man träumt und von der Schauspielerei allein kann man nicht leben, wenn man nicht gerade ein Star ist. Nebenbei gestaltet er CD-Cover für Musiker. Ich bemerkte, er erzählt nicht gerne über sich. Dass die Künstler in Russland ein hartes Leben haben, ist ja allgemein bekannt. Wer redet schon gern darüber, schon gar nicht an einem Abend wie diesem.

Er wollte viel über mich wissen. Er sagte, Natascha hätte schon viel über mich erzählt. Da erzählte ich aus meiner Kindheit und Jugendzeit in Kirgisien und von der Auswanderung nach Deutschland. Er hörte sehr aufmerksam zu. Dann erzählte er mir viel über Völkerwanderung im Mittelalter aus Mittelasien, auch aus Kirgisien bis nach Südfrankreich und wie sich dort eine eigene Sprache entwickelte. Genauso erzählte er mir von den nördlichen Völkern. Ich staunte nur, was dieser Mensch alles wusste. Mir fiel auf, dass wir schon viel Zeit auf der Schaukel verbracht haben. Ich schlug vor, zu den Anderen zu gehen.

Walerij wollte vorher noch gern in meine CD hineinhören. Er wusste, dass ich die deutsche Übersetzung eines bekannten Liedes des russischen Dichters Jessenin aufgenommen habe. Wir gingen in das Wohnzimmer und ich legte meine CD auf. Da kam Walerij auf mich zu und bat mich, mit ihm zu tanzen. Es war sehr überraschend für mich. Ich zögerte ein wenig, doch er reichte mir seine Hand und sagte leise: “Bitte.“ So willigte ich ein und tanzte mit ihm.

Im Pavillon ging die Party noch fröhlich weiter. Als wir dazu kamen, baten man mich auch etwas zu singen. Ich sagte, dass ich meine siebensaitige Gitarre nicht dabei habe. Da meinte jemand, ich könnte doch die sechssaitige Gitarre umstimmen und ohne die zusätzliche Basssaite spielen. Das tat ich dann auch und sang ein Lied von Jessenin auf Deutsch. Die Gäste fanden es faszinierend, jetzt sollte ich noch etwas Deutsches singen. Ich konnte jedoch mit der Gitarre nicht so gut umgehen und schlug den Leuten vor, sich morgen meine CD anzuhören.

Wir waren inzwischen alle müde und wollten nur noch ins Bett. Wir Frauen schliefen in meinem Zimmer im Dachgeschoss auf Matratzen auf dem Boden. Die Männer schliefen unten im Wohnzimmer auf Liegen und auf der Couch, die man zu einem breiten Bett ausziehen konnte. Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war keiner mehr in meinem Raum. Ich sah aus dem Fenster. Es war wieder ein herrlicher Tag. Ich zog mich an und ging nach unten. Die Leute waren alle noch da und saßen im Wohnzimmer. Sie wollten noch gemeinsam frühstücken und dann abreisen.

Das taten sie dann auch. Nach und nach fuhren die Autos vom Hof. Nur Walerij und Andrej blieben. Heute war Sonntag. Morgen früh würde auch ich abreisen. Mein Flugzeug nach Hannover sollte um 10.55 Uhr starten. Mir fiel ein, dass ich noch keine Mitbringsel für meine Liebsten hatte. Das was ich in Moskau gesehen hatte, gefiel mir nicht. Es war lauter Kitsch und das meist auch noch aus dem Ausland. Da schlug Natascha vor, in das Nachbarstädtchen zu fahren, die Geschäfte seien sonntags geöffnet. Jewgenij und Andrej wollten lieber zu Hause bleiben um noch ein wenig zu schlafen. Walerij wollte gerne mit uns fahren.

Es war ein ruhiges, kleines Stadtchen, rund fünf Kilometer entfernt. Wir waren in einigen Geschäften, in denen ich noch etwas Nettes für Jeden fand. Auf der Rückfahrt hielten wir an einem Lebensmittelgeschäft. Ich hatte Heißhunger auf Kaffee und Kuchen. Natascha blieb im Auto. Walerij und ich liefen hinein. Da sah ich auch schon Torten, eine schöner als die andere. Ich suchte eine aus. Walerij sah ich mit Alkoholflaschen in der Hand. Er meinte, das musste zum Abschied auch sein.

Zu Hause angekommen, es war jetzt bereits 17 Uhr, deckten wir den Tisch. Die Männer wollten etwas Herzhaftes, es war ja auch noch reichlich Essen vom Vortag da. Schaschlik und die Piroggen erwärmten wir im Ofen, der Rest und meine Torte kam auf den Tisch. Wir Fünf genossen mal wieder das ausgiebige Essen.

Diesmal hatten Walerij und Andrej viel über sich selbst erzählt: Über ihre gescheiterten Beziehungen, ihre Kinder und über ihre Arbeit. Sie schienen es überhaupt nicht eilig zu haben, nach Hause zu kommen.

Sie sind seit vielen Jahren befreundet. Sie erzählten, wie sie sich gegenseitig schon oft aus der Not geholfen haben. Es war zum Teil so rührend, dass Natascha weinen musste. Plötzlich stand sie auf und meinte, das Wichtigste hätte sie beinahe vergessen. Sie ging raus, wir sollten ihr folgen. Sie nahm mich an die Hand, führte mich in den Garten, ließ mich dort stehen und lief zurück ins Haus.

Sie brachte einen Blumenstrauß und einen Hut. Ich setzte den Hut auf und Natascha gab mir den Blumenstrauß. Sie stellte sich vor mich hin und hielt eine niedliche Rede: Ich hätte eine Heldentat vollbracht, weil ich sie ganz allein besucht habe. Dafür hätte ich einen Orden verdient. Sie überreichte mir den Orden und Andrej steckte ihn mir an meine Halskette. So ist Natascha: Schauspielerin durch und durch.

Kurze Zeit später verabschiedeten sich Walerij und Andrej von mir und Natascha brachte sie zum Bahnhof. Jewgenij und ich räumten den Tisch auf. Ich ging nach oben, um den Koffer zu packen. Natascha kam bald zurück. An diesem Abend hatten wir uns vorgenommen, früh zu Bett zu gehen, denn um 6 Uhr wollten wir aufstehen.

Ich wurde schon vor 6 Uhr wach, stand auf und machte mich für die Reise fertig. Ich brachte mein Gepäck nach unten. Um 7 Uhr ging der Zug nach Moskau. Jewgenij wollte mich zum Flughafen begleiten. Wir tranken Tee und unterhielten uns noch kurz, dann brachte Natascha Jewgenij und mich zum Bahnhof. Es fiel mir schwer, mich von Natascha zu verabschieden. Ich merkte, es ging ihr genauso, denn die letzten Tage hatten uns richtig zusammengeschweißt.

Da kam auch schon der Zug und wir stiegen ein. Auf dem Flughafen hatten wir noch eineinhalb Stunden Zeit bis zum Abflug. Jewgenij und ich gingen in ein kleines Café im Flughafen.

Jetzt war sie wieder da, meine Aufregung gemischt mit Angstgefühlen. Ich bestellte zwei Kaffee und ein belegtes Brötchen für Jewgenij. Ich bekam keinen Bissen herunter. Der Kaffee schmeckte scheußlich, ich trank ihn nicht.

Wir gingen zum Einchecken. Da durfte Jewgenij nicht mit hinein. Wir verabschiedeten uns. Ab jetzt wollte ich kein Russisch mehr sprechen, damit hatte ich schon öfter gute Erfahrungen gemacht. Ich checkte ein und ging zur Passkontrolle. Da war, wie auch anders, eine lange Schlange. Es ging sehr langsam vorwärts. Hinter mir wurde die Schlange immer länger. Es waren viele Kinder dabei, die zum Teil sehr unruhig wurden.

Endlich war nur noch ein Passagier vor mir. Ich sah auf die Uhr, ich hatte nur noch zehn Minuten bis zum Abflug. Dann passierte das Unfassbare: Es kam ein Milizionär (Polizist) mit einer Gruppe von ungefähr fünf Personen und stellte sie vor mich. Zur Sicherheit blieb er bei ihnen stehen. Es war eindeutig, dass er dafür bezahlt wurde.

Die Leute hinter mir fingen leise an zu schimpfen. Diese Ungerechtigkeit konnte ich nicht ertragen. Ich sprach ganz laut russisch, aber mit einem starken, deutschen Akzent: "Haben Sie das alle gesehen? Dass so was in Russland möglich ist, habe ich in Zeitungen gelesen oder im Fernsehen gesehen. Jetzt sehe ich es mit meinen eigenen Augen. Dieser mit der Mütze sollte eigentlich für Ordnung sorgen. In Deutschland hätte man ihn dafür ins Gefägnis gesteckt!" Da wurden die Leute um mich herum auch laut. Jemand meinte: "So etwas passiert auch nur bei uns, eine Unverschämtheit!"

Ich ging zum Milizionär und fragte, wie er so etwas machen kann. In zwei Minuten startet mein Flieger. Er sagte nur ganz gelassen, wenn ich eingecheckt habe, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dann wartet der Flieger.

Es war eine ganz neue Erfahrung für mich. Das Flugzeug startete tatsächlich eine Viertelstunde später. Außer mir kamen noch zwei Männer zu spät.

Ohne besondere Vorkommnisse landete das Flugzeug in Hannover. Ich lief Manfred in die Arme und war glücklich, wieder in geordneten Verhältnissen zu sein. Auf der Fahrt nach Hause erzählte ich ihm pausenlos von meinen Erlebnissen. Er sagte immer wieder, ich solle es aufschreiben. Das habe ich hiermit getan.


Ella Deppe, August 2008


Natascha hat meinen Reisebericht ins russische übersetzt. Es ist ihr sehr gut gelungen, dafür bin ich ihr  dankbar.

Natascha ist diplomierte Dolmetscherin für englisch, deutsch und russisch und hat viele Jahre in Deutschland gelebt. Sie kennt sich mit deuschen und russischen Behörden bestens aus. Wenn Sie private oder geschäftliche Hilfe benötigen, können wir den Kontakt herstellen oder Sie mailen sie direkt an